Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.03.2007, Nr. 63, S. 48

Exzentrische Freundin
Vortrag über Sibylle Mertens

Die Liebe ihres Lebens bezeichneten ihre Kinder als "exzentrische Freundschaft". Sibylle Mertens liebte Frauen in einer Zeit, als der Begriff "Homosexualität" noch nicht en vogue war. Doch nicht nur das prägte das Leben der Bankierstochter, von dem Angela Steidele im Goethe-Museum Frankfurt erzählte. Die Grenzüberschreitungen seien es gewesen, die sie an der 1857 gestorbenen Künstlerin und Wissenschaftlerin faszinierten, sagte die Kölner Autorin, die derzeit an einem Buch über das Lebens Mertens' arbeitet.

Eher als Randfigur im Leben bekannter Personen sei Mertens in Erscheinung getreten, sagte Steidele. So verband sie mit Annette von Droste-Hülshoff eine enge Freundschaft, ebenso mit Ottilie von Goethe, der Schwiegertochter des Dichters. Mehr noch bedeutete ihr Adele Schopenhauer, die Schwester des Philosophen. "Stürbe sie, so spränge ich jetzt in den Rhein", schreibt ihrerseits Adele, die der geliebten Sibylle auch einen Ring schenkt. Doch Mertens ist verheiratet, unglücklich noch dazu, und überdies Mutter von sechs Kindern. Sie bietet Adele eine Ménage à trois an, doch diese lehnt ab.

Ein bewegtes Leben ist es, das die 1797 in Köln getaufte Sibylle Mertens führte, dabei einen der wichtigsten Salons im Rheinland unterhielt, selbst Lieder schrieb und eine angesehene Archäologie-Expertin war. Passend erscheint vor diesem Hintergrund das Motto, das Steidele ihrem Vortrag über den unkonventionellen Weg Mertens' vorangestellt hatte: "Ich hatte eigentlich meine Freiheit zu lieb." In einem Werkstattbericht gewährte sie Einblicke in ihre Arbeit, das mühsame Entziffern vierfach beschriebener Briefseiten und die Suche nach der Münzsammlung Mertens', die von ihren Erben hastig versteigert worden war.

FRIEDERIKE HAUPT


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