Projektförderung 2010
 
Seefahrerinnen, Klagefrauen, Kleinbäuerinnen und Leihmütter – Vielfältige Ausblicke im Förderjahr 2010
 
Die Frankfurter Stiftung maecenia für Frauen in Wissenschaft und Kunst förderte 2010 mit insgesamt 22.000 Euro eine Publikation, drei Dokumentarfilme, drei Ausstellungsvorhaben und eine Bühnen-Performance. Die aus über 100 Antragstellerinnen ausgewählten acht Forscherinnen und Künstlerinnen recherchieren zu Lebens- und Überlebensstrategien von Frauen und setzen sich künstlerisch mit einem veränderten Körperbewusstsein auseinander.

Die Publikation behandelt Klage und Schmerz „im Bauch Europas“ (westlicher Balkan) und die Bedeutung alter und neuer Trauertraditionen von Frauen für aktuelle Widerstandsbewegungen gegen den Krieg. Die Protagonistinnen der drei Dokumentarfilmprojekte sind Frauen, die 1945 nach Island ausgewandert sind, Frauen, die im ehemaligen Fischkombinat Rostock gearbeitet haben und zur See gefahren sind und Betreiberinnen und Kundinnen eines Nagelstudios in Berlin-Marzahn. Auf eine wenig bekannte Perspektive zur Lösung des Welthungerproblems wird die Ausstellung über ökologisch arbeitende Kleinbäuerinnen in Bangladesch aufmerksam machen. Zwei weitere Ausstellungsprojekte befassen sich mit dem Verhältnis von Kunst und Theorie sowie mit den Auswirkungen neuer gentechnologischer und medizinischer Möglichkeiten auf das ästhetische Körperempfinden. Die Bühnen-Performance setzt sich mit dem brisanten Thema Leihmütter in Indien einmal ganz anders auseinander.

Foto Frauen in Schwarz Srebrenica

Klage und Schmerz im Bauch Europas – Dokumentation der Begegnungen mit Künstlerinnen des Mitgefühls, den Klagefrauen auf dem westlichen Balkan

Antragstellerin:  Ulrike Reimann, Bremen
Art des Projektes:  Forschungsprojekt / Publikation
Fördersumme:  4.000 Euro

Die Reise zu den traditionellen Klagefrauen auf dem westlichen Balkan (Serbien, Kroatien, Bosnien, Montenegro) ist eine Spurensuche nach gelebter und unterdrückter Emotions-Kultur in einer durch Krieg gebeutelten Region Europas. Können Mitgefühl und Trauer auch heute einen Beitrag zur Versöhnung leisten? Ziel des Forschungsvorhabens ist eine Dokumentation alter und neuer Trauerklage als bedeutsame Tradition von Frauen – eine Tradition, die von Widerstandsgruppen gegen Krieg und Vertreibung vielerorts wiederaufgegriffen und neu belebt wird, zum Beispiel von den ‚Frauen in Schwarz’ in Belgrad.

Die Interkulturelle Pädagogin Ulrike Reimann und die Soziologin Marijana Gršak forschen seit 2002 über die Situation von Frauen in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens und sind freiberuflich als Trainerinnen und Beraterinnen zu Themen wie Erinnerungsarbeit und Trauerkultur tätig. Sie sind Herausgeberinnen des Sammelbandes Frauen und Frauenorganisationen im Widerstand in Kroatien, Bosnien und Serbien.

Foto Eisheimat

Eisheimat

Antragstellerin:  Heike Fink, Wuppertal
Art des Projektes:  Dokumentarfilm
Fördersumme:  4.000 Euro

Nach dem Zweiten Weltkrieg brachen 238 junge deutsche Frauen nach Island auf – eine Annonce des dortigen Bauernverbandes hatte sie dazu bewogen. Was waren ihre persönlichen Gründe, das Nachkriegsdeutschland zu verlassen und in der Abgeschiedenheit der Vulkaninsel zu bleiben? Eisheimat portraitiert diese mittlerweile über 80-jährigen Frauen, die auf der rauen Atlantikinsel ein entbehrungsreiches Leben führten, aber eine neue Heimat fanden. „Die Frage nach dem Sein und Werden, dem Dazugehören, dem Einzelnen und der Gemeinschaft stellt sich angesichts der ausgewanderten ’islandisierten’ Frauen auf besondere Weise.“

Heike Fink ist Redakteurin, Drehbuchautorin für Film und Dozentin für Dramaturgie und Drehbuchschreiben. Eisheimat ist ihr erstes Dokumentarfilmprojekt.

Foto Shawna Dempsey und Lorri Millan

Kunst- und Theorieprojekte

Antragstellerin:  Alexandra Duwe, Frankfurt am Main
Art des Projektes:  Ausstellung/Performance
Fördersumme:  2.000 Euro

In dem Ausstellungsprojekt Kunst- und Theorieprojekte geht es um die Spannung zwischen theoretischem Anspruch und der ästhetischen Umsetzung in der Kunst. „Vermag Kunst ihre Zwecke derart theoretisch zu erweitern, dass gar geistes- und gesellschaftswissenschaftliche Themen künstlerisch verarbeitet werden, um so auf gesellschaftliche Zusammenhänge aufmerksam zu machen, oder büßt sie damit nicht ihre eigene Stärke der ästhetischen Konkretisierung und Zuspitzungen ein?“
Das dazu u.a. eingeladene Künstlerduo Shawna Dempsey und Lorri Millan aus Winnipeg/Kanada setzt sich mithilfe der Medien Film, Video und Performance mit feministischer und philosophischer Theorie auseinander. Im September 2009 wird es eine Videoausstellung der beiden Künstlerinnen auf dem Atelierschiff der Stadt Frankfurt auf dem Main geben. 2010 folgt eine einwöchige Performance, die sich mit sozialen Konventionen beschäftigt. Ort wird ein Fahrstuhl in einem Frankfurter Bürogebäude sein.

Die Kuratorin der Ausstellung Alexandra Duwe war gemeinsam mit Holger Wüst mit dem Ausstellungsraum Goethestraße 78 in Offenbach am Main sehr erfolgreich in der Förderung von Künstlerinnen und Künstlern. Die Kunst- und Theorieprojekte, die weitere von Duwe organisierte und kuratierte Ausstellungen und eine theoretische Veranstaltung umfassen, entstehen wieder in Zusammenarbeit mit Holger Wüst.

Foto Nayakrishi Andolon

Nayakrishi Andolon – Kleinbäuerinnen in Bangladesch

Antragstellerin:  Katharina Mouratidi, Berlin
Art des Projektes:  Foto-/Text-Ausstellung
Fördersumme:  2.000 Euro

Nayakrishi Andolon – Die Bewegung Neue Landwirtschaft in Bangladesch ist eine überwiegend von Frauen getragene Bauernbewegung aus etwa 65.000 Familien, die sich zum Ziel gesetzt hat, ohne den Einsatz von Chemie gesunde Nahrung zu produzieren durch eine regionale, ökologische und nachhaltige Landwirtschaft. Die Ausstellung will dieses wegweisende Projekt dokumentieren und so „einen der gangbaren Wege zur Lösung der Nahrungsmittelkrise aus der wenig bekannten Perspektive von Frauen aus den Entwicklungs- und Schwellenländern aufzeigen“.
Das Ausstellungsprojekt ist Teil des Zyklus Gelebte Alternativen – Wege in eine nachhaltige, global gerechte Zukunft, der sechs Städte, Dörfer, Gemeinschaften und Netzwerke aus aller Welt und ihre Konzepte des nachhaltigen Wirtschaftens vorstellt.

Die Berliner Fotografin Katharina Mouratidi, geboren 1971, konzentriert sich in ihrer Arbeit auf soziale und politische Themen und Bewegungen. Ihre Fotografien und Texte werden weltweit gezeigt und publiziert. Ihr Buch Venceremos – Die andere Globalisierung ist 2006 bei Edition Braus, Heidelberg, erschienen.

Filmbild Ein Probenagel gratis

Ein Probenagel gratis

Antragstellerin:  Kathi Liers, Berlin
Art des Projektes:  Dokumentarfilm
Fördersumme:  4.000 Euro

Ein Nagelstudio inmitten des von wirtschaftlicher und kultureller Stagnation gezeichneten Berliner Stadtteils Marzahn ist der Schauplatz dieses Films – die Mitarbeiterinnen und Kundinnen sind die Protagonistinnen, die auf ihre Weise ums Überleben kämpfen. „Diese Innenansicht eines ungewöhnlich solidarischen und originellen Mikrokosmos, mit dessen lebensnaher Glaubwürdigkeit, identifikatorischer Emotionalität, authentischem Humor und zuversichtlicher Lebenshaltung, macht die Frauen im Nagelstudio zu aktuellen, sehenswerten Heldinnen.“ In ihnen können sich die Zuschauerinnen und Zuschauer wiedererkennen und gleichzeitig Starkes, Neues und Ermutigendes entdecken.

Die Berliner Schauspielerin und Filmregisseurin Kathi Liers hat sich bereits in ihrem Dokumentarfilm Die Vier von der Quelle (2007), der mehrmals im Fernsehen und auf Festivals lief, mit Frauen beschäftigt, die sich in schwierigen und unsicheren Arbeitswelten behaupten.

Projekt Made in India

A.R.T. (Artificial Reproduction Technology)

Antragstellerin:  Ditte Maria Bjerg, Dänemark
Art des Projektes:  Stageart/Video-Projekt
Fördersumme:  2.000 Euro

Was bedeutet es für alle Beteiligten, wenn das wirtschaftliche Mittel des „outsourcing“ auf das Austragen des eigenen Babys angewendet wird? Diese performance-lecture über den boomenden Markt indischer Leihmütter zeigt die Gratwanderung auf der Suche nach dem persönlichen Glück westlicher Mütter und dem Überlebenskampf indischer Dienstleisterinnen. Während ein Video eine indische Leihmutter portraitiert, lesen zwei Bühnenschauspielerinnen Texte der amerikanischen Soziologin Arlie Hochschild. Die Uraufführung findet auf dem Jubiläums-Kongress zum 100-jährigen Bestehen der Deutschen Gesellschaft für Soziologie am 10. Oktober 2010 in Frankfurt am Main statt, bevor die Performance in weiteren Städten gezeigt wird.

Die dänische Regisseurin Ditte Bjerg beschäftigt sich in ihren Aufführungen und Dokumentarfilmen mit politischen und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. „Her work is a very unusual mixture of great imagination and sophisticated social criticism“, sagt Arlie Hochschild über die Arbeiten Ditte Bjergs.

Liquid Identities

Liquid Identities

Antragstellerin:  Veronika Witte, Berlin
Art des Projektes:  Ausstellung
Fördersumme:  2.000 Euro

Liquid Identities ist ein Beitrag zum Körperdiskurs des 21. Jahrhunderts, der den Körper zur Disposition stellt und ihn zum Austragungsort von Leistungssteigerung, Sehnsüchten und Unsterblichkeitsphantasien macht. Das Projekt befasst sich mit den Auswirkungen neuer gentechnologischer und medizinischer Möglichkeiten und Erkenntnisse auf das ästhetische Körperempfinden und die Körperbilder von Frauen und Männern. Es wird in Zusammenarbeit mit Dr. Bodo Lippl vom Institut für Sozialwissenschaften, Empirische Sozialforschung der Humboldt Universität zu Berlin durchgeführt.
Mit einem sechsseitigen Fragebogen befragt die Künstlerin u.a. Besucherinnen und Besucher von Ausstellungen nach deren Einstellungen zum eigenen Körper und ihren Vorstellungen zu einem hypothetischen zukünftigen Körper. 1.500 Fragebögen bilden die Grundlage für eine wissenschaftliche Auswertung, während aus den Zeichnungen der Befragten mittels eines 3D- Computerprogramms vier Skulpturen der hybriden Idealtypen hergestellt werden. Diese Skulpturen, eine Videoinstallation, ein offenes Archiv der Fragebögen und eine Dokumentation des gesamten Projekts werden im Herbst 2010 in der Abschlussinstallation des Projekts in der Stadtgalerie Saarbrücken gezeigt.

Die Künstlerin Veronika Witte bewegt sich an der Schnittstelle von Wissenschaft, Kunst und performativer Inszenierung. Für ihre Feldforschung rief sie 2001 das fiktive Meinungsforschungsinstitut ISF – Institut für sozio-ästhetische Feldforschung Berlin ins Leben. Witte absolvierte ihr Studium der Installation und Skulptur an der Ecôle Nationale Supérièure des Beaux-Arts in Paris. Sie nimmt an zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland teil.